04.07.2022

Internetregulierung auf neues Fundament stellen

EU-Parlament stimmt über digitales Grundgesetz ab

Das EU-Parlament stimmt am morgigen Dienstag über neue Regeln für Online-Plattformen ab, die Nutzer*innen und Verbraucher*innen gegenüber der Marktmacht der Big Tech Unternehmen stärken sollen. 

René Repasi, Chefunterhändler der Sozialdemokrat*innen für den Digital Markets Act:

„Die Verbreitung von Hass und Hetze im Netz, gefährliche und sicherheitswidrige Produkte oder einseitig aufgesetzte Geschäftsbedingungen seitens Online-Plattformen: Die EU hat es sich zur Aufgabe gemacht, dem ein Ende zu setzen. Mit der Gesetzgebung für Online-Märkte werden großen Tech-Konzernen wie Amazon, Facebook oder Google klare Grenzen aufgezeigt. Plattformen, sogenannte Gatekeeper, begünstigen die eigenen Angebote gegenüber Konkurrent*innen, bestimmen den Zugang in die Online-Welt und schaffen Abhängigkeiten. Um das zu untersagen, führen die EU-Regeln bestimmte Verbote und Pflichten ein.

Besonders wichtig ist die Interoperabilitätspflicht für große Messenger-Dienste: Nutzer*innen werden Familie und Freund*innen künftig auf anderen Apps erreichen können, ohne diese installieren zu müssen, genauso wie beim Mail- oder SMS-Versand. Dadurch können Nutzer*innen frei wählen und Datenschutzstandards nach oben drücken. Für fairen Wettbewerb ist uns Sozialdemokrat*innen wichtig, das Aufkaufen von innovativen Start-Ups, sogenannte Killerkäufe, zu verbieten, und Unternehmen, die die DMA-Regeln nicht respektieren, zu zerschlagen. Tech-Giganten werden bei der Missachtung der neuen Regeln Strafen erhalten, die weh tun, denn nur dadurch werden sie ihr Verhalten ändern.

Das Schwestergesetz für digitale Dienstleistungen hingegen zielt darauf ab, ein sicheres Online-Umfeld für Bürger*innen zu gewährleisten. Im Bereich des Online- Shoppings führen wir neue Pflichten für Plattformen ein, um Verbaucher*innen vor Betrügern und vor schädlichen oder illegalen Produkten zu schützen. Online- Marktplätze müssen die Identität ihrer Geschäftskunden kennen und Verbraucher*innen über unsichere oder gefälschte Waren informieren. Diese Regeln müssen im Gesetz zur Produktsicherheit, welches ich für die sozialdemokratische Fraktion verhandele, aufgegriffen und verschärft werden.

Die EU-Digitalgesetzgebung wird wegeweisende Änderungen der Online-Landschaft mit sich bringen. Wichtig dafür ist, dass die EU-Kommission das Personal für die Durchsetzung aufstockt."

Tiemo Wölken, rechtspolitischer Sprecher der Europa-SPD:

"Der Digital Services Act ist das neue digitale Grundgesetz für Europa. Künftig gibt es klare Spielregeln für Plattformen. Dazu gehören europaweite Regeln für den Kampf gegen illegale Inhalte online, aber auch neue Rechte für Nutzer*innen, um gegen willkürliche Entscheidungen der Plattformen vorzugehen. Das ist ein riesiger Fortschritt gegenüber den veralteten Regeln der bisher geltenden E-Commerce-Richtlinie.

Wir schieben den datenintensiven Werbepraktiken der Tech-Giganten einen Riegel vor und verbieten die Verwendung sensibler persönlicher Daten für Werbezwecke, wie zum Beispiel sexuelle Orientierung, Religion oder politische Gesinnung.  Auch das gezielte Ansprechen Minderjähriger für Werbezwecke wird künftig verboten sein. Zusätzlich bringen wir Licht in die algorithmischen Blackboxen der großen Plattformen wie Google, Facebook oder Amazon – sie müssen Behörden und Forscher*innen Zugang zu ihren Daten gewähren und werden verpflichtet, schädliche Nebenwirkungen ihrer Dienste, wie die Verbreitung von Desinformation, aktiv zu beenden. Damit schaffen wir die Werkzeuge, um den Teufelskreis aus Werbung, süchtig machenden Empfehlungsalgorithmen und Desinformation auf Plattformen aufzubrechen.

Nicht zuletzt wurden die Verhandlungen rund um die Digitalgesetzgebung auch durch Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine geprägt. Um den Herausforderungen digitaler Kriegsführung und Desinformation besser begegnen zu können, sollen ernste Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit und Gesundheit über einen neuen Krisenmechanismus besser bekämpft werden können – darunter fallen zum Beispiel die Verbreitung russischer Propaganda oder Desinformation zu Covid-19. Der Vorschlag schließt eine wichtige Lücke und erkennt an, dass Plattformen in den falschen Händen auch zu Waffen gegen die Demokratie werden können. Wir kritisieren allerdings, dass das Parlament über solche Maßnahmen nur informiert werden soll und keine echte Kontrollfunktion ausüben können wird."