17.05.2022

„Polnische Regierung muss ihre Blockade beenden“

Europäisches Parlament positioniert sich zu globalem Mindeststeuersatz

Das Europäische Parlament wird diesen Donnerstag, 19. Mai 2022, über einen Bericht abstimmen, in dem eine faire Besteuerung von Digitalkonzernen ebenso gefordert wird wie ein ambitionierter effektiver Mindeststeuersatz. 130 OECD-Staaten einigten sich im Oktober auf einen Mindeststeuersatz von 15 Prozent. Bisher fehlt jedoch die Ratseinigung.


Joachim Schuster, wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher der SPD-Europaabgeordneten:
„Eine parteiübergreifende Mehrheit im Europäischen Parlament steht voraussichtlich hinter der Forderung nach einem globalen effektiven Mindeststeuersatz von 15 Prozent, die maßgeblich von Olaf Scholz vorangetrieben wurde. Bereits seit einem Jahrzehnt bemühen sich fortschrittliche politische Kräfte um eine solche überfällige Reform des internationalen Steuersystems. Diese Änderungen sind dringend nötig, da Unternehmen bisher legal Steuersysteme gegeneinander ausspielen, Gewinne verschieben und Steuerpflichten minimieren können. Wir müssen endlich vorankommen. Die polnische Regierung muss zügig ihre Blockade im Rat beenden und die Vereinbarungen bis 2023 umsetzen, wie in der Richtlinie der EU-Kommission vorgesehen. 

Ein Mindeststeuersatz von 15 Prozent dürfte EU-weit jährlich zusätzliche, dringend benötigte Steuereinnahmen in Höhe von 48 Milliarden Euro bringen. Es geht nicht nur darum, den Ländern mehr Einnahmen im Zusammenhang mit dem Aufschwung und dem grünen Übergang zur Verfügung zu stellen. Es geht auch darum, die Kontrolle in einer globalisierten Wirtschaft wiederzuerlangen. Aggressive Steuerplanung darf in Europa künftig kein Wettbewerbsmodell mehr sein.

Angesichts der Kosten der Krisen ist es umso wichtiger, dass multinationale Unternehmen ihren Beitrag zum Gemeinwohl leisten und sich nicht auf Kosten der Steuerzahler*innen einen schlanken Fuß machen.“


Hintergrund:
Den EU-Finanzminister*innen ist es auf ihrer letzten Tagung am 5. April 2022 nicht gelungen, sich auf die Richtlinie einigen. Polen ist derzeit der einzige Mitgliedstaat, der sich verweigert. Steuerfragen erfordern in der aus 27 Ländern bestehenden Europäischen Union stets Einstimmigkeit. Das Europäische Parlament stimmt eine Woche vor dem nächsten Treffen der EU-Finanzminister*innen am 24. Mai 2022 ab und soll zusätzlichen Druck auf Polen ausüben, die Richtlinie über die effektive Mindestbesteuerung anzunehmen.

Bereits seit einem Jahrzehnt arbeiten Vertreter*innen der OECD-Staaten an einer überfälligen Reform des internationalen Steuersystems. Im Oktober 2021 hatten sich nun 137 von 140 Länder des OECD inklusive Framework, einschließlich aller EU-Mitgliedstaaten, auf die übergreifenden Grundsätze einer Zwei-Säulen-Reform.

Säule I befasst sich mit der Neuzuweisung von Besteuerungsrechten. Zukünftig sollen Besteuerungsrechte vom Ansässigkeitsstaat in sogenannte Marktstaaten umverteilt werden, wo Unternehmen Gewinne erwirtschaften, ohne physisch präsent zu sein. Durch einen gemeinsamen Ansatz sollen außerdem nationale Maßnahmen - insbesondere nationale Digitalsteuern - überflüssig werden.

Säule II dieser Reform zielt darauf ab, durch eine globale Steuer gegen die Aushöhlung der Bemessungsgrundlage einen effektiven Mindeststeuersatz von 15 Prozent festzulegen.

Bereits zwei Monate nach der Einigung auf OECD-Ebene hat die EU-Kommission im Dezember Vorschläge vorgelegt, mit der die Säule II, die effektive Mindestbesteuerung der weltweiten Tätigkeiten multinationaler Konzerne, umgesetzt werden soll. Diese führen für alle Konzerne mit einem Jahresumsatz von über 750 Millionen Euro und einer Mutter- oder Tochtergesellschaft in der EU einen effektiven Mindeststeuersatz von 15 Prozent ein. Der Vorschlag der EU-Kommission ist eng an die internationale Vereinbarung angelehnt.

Noch in diesem Sommer will die EU-Kommission nach eigenen Aussagen einen Vorschlag zur geplanten Neuzuweisung von Besteuerungsrechten, Säule I, vorlegen.