24.06.2025

„Demokratische Verfahren schützen“

EU-Parlament klagt wegen Ausschluss parlamentarischer Beteiligung

Die Europäische Kommission hat zum wiederholten Male europäisches Recht vorgeschlagen, dessen Rechtsgrundlage (Artikel 122 AEUV) jegliche Beteiligung durch das Europäische Parlament ausschließt.
Nachdem die Mitgliedstaaten im Rat das „Security Action for Europe“ (SAFE)-Programm mit einem EU-Kreditvolumen von 150 Milliarden Ende Mai verabschiedet haben, hat der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments soeben einstimmig die Erhebung einer Nichtigkeitsklage vor dem Europäischen Gerichtshof beschlossen.


René Repasi, Vorsitzender der Europa-SPD und Ständiger Berichterstatter des Parlaments für Rechtsstreitigkeiten:
„Das Europäische Parlament ist als einzige direkt von den Bürgerinnen und Bürgern gewählte europäische Institution das demokratische Rückgrat der EU.
Die wiederholte Entscheidung von Kommission und Mitgliedstaaten, das Parlament mithilfe von Notstandsgesetzgebung zu umgehen, beobachte ich mit großer Sorge. Denn unsere zentrale Aufgabe als Abgeordnete ist, die Interessen der Menschen in Europa zu vertreten und die Ausübung von Macht zu kontrollieren – und dazu gehört eine starke, durchsetzungsfähige parlamentarische Demokratie. Die EU-Kommission hat mit ihrem Vorschlag für ein Anleiheninstrument über 150 Milliarden Euro, auf einer Rechtsgrundlage ohne parlamentarische Beteiligung, den Bogen überspannt. Auch wenn ich SAFE inhaltlich richtig finde, ist der komplette Ausschluss jeglicher parlamentarischer Beteiligung inakzeptabel; vor allem wenn es um die Verwendung von Steuergeldern geht.

Ohne, dass eine echte und vor allem unerwartete Notlage ersichtlich ist, ist die Anwendung von Artikel 122 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union zur Durchsetzung eines industriepolitischen Vorhabens und seiner Finanzierung im Verteidigungsbereich, ein institutioneller Tabubruch. Es handelt sich um eine Rechtsgrundlage, die das Handeln der EU in Notfallsituationen ermöglicht, wie sie beispielsweise zur Bekämpfung der Folgen der Pandemie zum Einsatz gekommen ist.

Als Teil der pro-europäischen und pro-demokratischen Mehrheit im Parlament unterstützen wir mit Nachdruck den Ausbau der Verteidigungsfähigkeit Europas. Doch dieser Zweck heiligt nicht jedes Mittel. Es ist der Versuch von Kommission und Mitgliedstaaten, einen Präzedenzfall zu schaffen und das Konzept einer vermeintlichen Notlage auszudehnen. Damit soll Parlamenten durch die Hintertür die Macht entzogen werden. Ist die Verwendung europäischer Kredite auf europäischer Ebene einmal beschlossen, können nämlich auch die nationalen Parlamente ihre Gestaltungsmacht nicht mehr einbringen. Zwar soll Not kein Gebot kennen; ohne Not müssen die Gebote aber aufrecht erhalten und verteidigt werden. Wenn wir diesen Dammbruch jetzt nicht aufhalten, wird das klammheimliche Ausschalten des Parlaments zum gefährlichen Normalfall.

Die Einschätzung unserer juristischen Fachgremien ist eindeutig: Der Rechtsausschuss wie auch der juristische Dienst des Parlaments weisen die Anwendung von Artikel 122 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union in diesem Fall klar zurück. Die EU-Kommission konnte nicht überzeugend darlegen, warum sie nicht auf eine andere Rechtsgrundlage zurückgreift, die das Parlament miteinbezieht. Deshalb ist es richtig – ja notwendig – dass das Europäische Parlament den Weg vor den Europäischen Gerichtshof beschreitet und seine Beteiligungsrechte verteidigt."


Der Rechtsausschuss hat beschlossen, dass das Parlament eine Klage gegen den Ministerrat auf Nichtigerklärung des SAFE-Programms wegen falscher Rechtsgrundlage erhebt. Die Präsidentin des Europäischen Parlaments wird nun eine Klage im Namen des Parlaments auf Grundlage der Empfehlung des Rechtsausschusses einzureichen. Weitere Verfahrensschritte sind rechtlich nicht mehr erforderlich. Sie kann jedoch nach der Klageerhebung, im kommenden Plenum, eine Abstimmung darüber beantragen, ob die Klage zurückgezogen werden muss. Die Klagefrist gegen die Entscheidung des Rats über das Finanzierungsinstrument läuft am Donnerstag, 21. August, ab.