30.06.2011

Wer lesen kann, ist im Vorteil

Jutta HAUG, stellvertretende Vorsitzende im Haushaltsauschuss, kritisiert scharf die reflexartigen Äußerungen einiger deutscher Koalitionspolitiker zu den Vorschlägen der Europäischen Kommission zum nächsten mehrjährigen EU-Finanzrahmen und zu der Reform des Europäischen Eigenmittelsystems: "Eine der wichtigsten Kulturtechniken ist das verständige Erlesen von Texten. Außenminister Westerwelle und einigen seiner Koalitionskollegen scheint es aber an dieser Kulturtechnik zu mangeln. Ansonsten hätten sie hinsichtlich der Vorschläge zu den Eigenmitteln der Europäischen Union den Artikel 311 des Lissabonner Vertrags gelesen!" In dem Artikel heißt es: Die Union stattet sich mit den erforderlichen Mitteln aus, um ihre Ziele erreichen und ihre Politik durchführen zu können. Der Haushalt wird unbeschadet der sonstigen Einnahmen vollständig aus Eigenmitteln finanziert. Bundesaußenminister Guido Westerwelle erklärte am Donnerstag in Berlin, dass die Bundesregierung keinen Bedarf an Eigenmittel für den Europäischen Haushalt sähe, wobei er die Eigenmittel fälschlicherweise als EU-Steuer bezeichnete. Darüber hinaus mahnte der deutsche Außenminister die EU zu mehr Sparsamkeit und erklärte, dass ein Prozent der EU-Wirtschaftleistung, also rund 1 000 Milliarden Euro, zur Finanzierung der Aufgaben der EU ausreichen müssten. "Selbst wenn ich Herrn Westerwelle nachsehe, dass er den Lissabonner Vertrag nicht gelesene hat, wie wäre es mit dem Lesen des 'interpretierenden' Schreibens aus seinem eigenen Haus, dem Auswärtigen Amt? Dort werden 'Lesehilfen' angeboten für den Brief, den fünf Staats- und Regierungschefs im letzten Dezember an Kommissionspräsident Barroso geschickt haben und in dem sie ihre Bedingungen für die Höhe des Finanzrahmens ab 2014 diktieren." In den Erläuterungen zum Brief der fünf Staats- und Regierungschefs heißt es: die Zahlungsermächtigungen sollen maximal 1087 Milliarden Euro betragen, die Verpflichtungsermächtigungen wiederum nicht höher als 1155 Milliarden Euro sein. Im Vergleich zu den Vorschlägen der Kommission, in denen Verpflichtungsermächti­gungen von lediglich 1025 Milliarden Euro und Zahlungsermächtigungen in Höhe von 975 Milliarden Euro vorgesehen sind, tut sich demnach eine Differenz auf, die ganz im Sinne Westerwelles sein müsste. "Vielleicht leidet Herr Westerwelle aber nicht nur an einer Lese- sonder auch an einer Rechenschwäche", merkte Jutta HAUG spöttisch an. "Fakt ist jedenfalls, dass der Kommissionsvorschlag unter unseren Erwartungen liegt, weshalb das Europäische Parlament seine Enttäuschung ausgedrückt und Widerstand angekündigt hat." Jutta HAUG: "Ich wünschte mir, wir könnten eine sachliche Diskussion darüber führen, welche Aufgaben die Europäische Union verstärkt erfüllen und neu abarbeiten soll. Populistischer Unsinn und Schnellschusserklärungen bringen uns da nicht weiter."