12.07.2018

An der Realität vorbei

Mehr als zwei Jahre nach dem Brexit-Votum am 23. Juni 2016 hat die britische Regierung einen Brexit-Plan im Unterhaus vorgestellt. Zum einen schlägt Premierministerin Theresa May eine künftige Freihandelszone mit der EU für Güter und landwirtschaftliche Produkte vor. Für alle anderen Bereiche, also Dienstleistungen, Digitales, Finanzdienstleistungen, aber auch für Handelsregeln, sieht sie zusätzliche bilaterale Abkommen vor. „Theresa Mays Papier ist eine Verhandlungsgrundlage, aber leider keine realistische“, sagt Bernd Lange von der Europa-SPD, Handelsausschussvorsitzender des Europäischen Parlaments. „Klare EU-Position ist, dass wir nur einen Binnenmarkt haben. Der lässt sich nicht à la carte aufteilen, in Güter, in Dienstleistungen, in Beschäftigte und in Kapital. Die vier Freiheiten des Binnenmarktes lassen sich nur zusammen umsetzen. Theresa May schreibt explizit, dass sie die freie Bewegung von Beschäftigten aus Europa begrenzen will. Damit schließt die Premierministerin selbst aus, dass die Europäische Union ein Abkommen nach ihren Vorstellungen schließen kann. Wenn das Vereinigte Königreich den Europäischen Gerichtshof nicht anerkennt, kann es natürlich auch keinen gemeinsamen Markt für Güter und landwirtschaftliche Produkte geben. Denn Entscheidungen zum Verbraucherschutz oder zur Lebensmittelsicherheit müssen überall gelten." "Die EU kann nicht akzeptieren, dass Großbritannien im Binnenmarkt bleibt, aber Dienstleistungsstandards deregulieren kann", sagt Bernd Lange. "Zum Beispiel in der wirtschaftlich wichtigen Automobilproduktion könnten sich britische Unternehmen dann Wettbewerbsvorteile durch einseitige Anpassungen bei Dienstleistungen wie Finanzierung, Vertrieb, Forschung und Entwicklung oder IT verschaffen. Laut der EU-Kommission könnten Firmen aus dem Vereinigten Königreich bei nur sieben solcher Deregulierungen Wettbewerbsvorteile von bis zu sechs Milliarden Euro einfahren. Die Kommission schätzt, dass der volkswirtschaftliche Schaden für die EU deshalb insgesamt etwa so hoch ausfiele wie der Schaden für Großbritannien völlig ohne Brexit-Deal." „Ich gehe davon aus, dass wir noch mal intensiv verhandeln müssen und der Brexit letztendlich auf ein bilaterales Handelsabkommen der Europäischen Union mit Großbritannien hinausläuft. Theresa Mays Pläne orientieren sich in vielen Bereichen bereits daran“, so Bernd Lange. „Ein solches Abkommen werden wir dann für Güter und für Agrarprodukte ebenso aushandeln müssen. Insbesondere weil die Frage der Ursprungsregeln oder die Frage der Produktqualität nicht langfristig geregelt sein kann, wenn Großbritannien hier eigene Regeln einschlagen will. In den Beziehungen zwischen Nordirland und Irland geht es selbstverständlich nicht nur um einen Güteraustausch; bis zu 50.000 Menschen pendeln dort täglich über die Grenze. Auch die Regeln für Freizügigkeit hier und die dort erbrachten Dienstleistungen müssen die Europäische Union und Großbritannien aushandeln.“ „Ich hoffe, dass wir die Verhandlungen bis Oktober 2018 beenden können. Falls nicht, steigt die Wahrscheinlichkeit eines harten Brexit“, so Bernd Lange. „Darauf müssen wir vorbereitet sein. Ich befürchte das, denn auf Grundlage dieses Papiers können wir kein schnelles Ergebnis erzielen. Ein harter Brexit träfe besonders die industrielle Produktion in Großbritannien und würde die dortigen Investitionen zurückdrängen. Alle wichtigen bilateralen Vereinbarungen wären aufgelöst. Dabei geht es auch um britische Finanzdienstleistungen, weil es dann kein sogenanntes Passporting mehr gäbe, also diese Finanzdienstleistungen dann nicht mehr automatisch in der ganzen EU gültig wären. Auch zum Beispiel Autotypenzulassungen im Vereinigten Königreich gelten dann nicht mehr im Rest der Europäischen Union. Ein harter Brexit würde sicher erheblich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in Großbritannien beeinträchtigen – in bestimmten Sektoren auch diejenige der EU.“ Weitere Informationen: Büro Lange +32 2 28 45555 und Jan Rößmann +32 473 864 513 (Pressesprecher)