16.09.2020

Ambitionslose Mogelpackung

Neues EU-Klimaziel für 2030

Den neuen Vorschlag von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für ein neues EU-Klimaziel für 2030 kommentieren Delara Burkhardt, umweltpolitische Sprecherin der SPD-Abgeordneten im Europäischen Parlament und Tiemo Wölken, Mitglied im Umweltausschuss:

Delara Burkhardt MdEP: „Das vorgeschlagene neue EU-Klimaziel für 2030 ist eine Mogelpackung. Wie so oft bei der Von-der-Leyen-Kommission lohnt es sich, bei großen Ankündigungen ins Kleingedruckte zu schauen: Anders als bisher sollen in dem neuen EU-Klimaziel für 2030 auch negative Emissionen durch Landnutzung und Forstwirtschaft in die Berechnung der Zielvorgabe miteinbezogen werden. Gemeint ist das Entziehen von Treibhausgasen aus der Atmosphäre, etwa durch Wälder. Das geht aus geleakten Kommissions-Dokumenten hervor. Diese Emissionen machen drei bis fünf Prozent aus. Durch andere Maßnahmen ist also nur eine Reduzierung von ungefähr 50 bis 52 Prozent vorgesehen. Dabei geht die Europäische Kommission selbst davon aus, dass schon mit der bestehenden EU-Klima- und Energiegesetzgebung eine Reduzierung der Treibhausgase bis 2030 von 45 Prozent erreicht wird. Was auf dem Papier wie ein Schritt in die richtige Richtung aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Ministeigerung des Klimaziels um gerade einmal fünf bis sieben Prozentpunkte.“

„Auch wenn es sehr begrüßenswert ist, dass natürliche Lösungen im Kampf gegen die Klimakrise, wie der Schutz von Wäldern, eine größere Rolle spielen sollen, ist der Vorschlag eines Nettoziels von nur 55 Prozent sehr enttäuschend. Im Umweltausschuss des Europäischen Parlaments haben wir erst letzte Woche ein Ziel von 60 Prozent gefordert - ohne Einbeziehung des Landnutzungs- und Forstwirtschaftssektors.“

„Auch bei der zu Grunde liegenden Machbarkeitsstudie für eine Erhöhung des Klimaziels muss genauer hingeschaut werden, denn die Kommission hat diese auf der Basis eines Klimaziels von 50 bis 55 Prozent durchgeführt. Die EU-Kommission verpasst also leider die Chance, sich an wissenschaftlichen Studien zu orientieren, die bestätigen, dass auch ein EU-Klimaziel für 2030 jenseits der 55 Prozent umsetzbar ist.“

Tiemo Wölken MdEP: "Die Klimakrise erfordert sofortiges Handeln, daher müssen wir an allen Schrauben drehen. Ursula von der Leyen hat von der Machbarkeitsstudie gesprochen, bei der verschiedene Sektoren auf ihre CO2-Reduktion untersucht wurden. Wir wissen, wie wir schnell starke Einsparungen erreichen können, müssen dabei aber ehrgeiziger sein als von der EU-Kommission vorgeschlagen: Wir brauchen bis 2030 einen Anteil von mindestens 40 Prozent Erneuerbare Energien und müssen die Energieeffizienz massiv verbessern. Unter anderem braucht es dafür in ganz Europa eine massive Renovierung von Gebäuden."

"Durch zielgerichtete öffentliche Investitionen müssen wir dabei den Wandel sozial gestalten. Mit Unterstützung der öffentlichen Hand können zum Beispiel auch neue Technologien in Stahlwerken dazu beitragen helfen, Prozentpunkte für das Klima einzusparen und gleichzeitig zukunftsfähige Arbeitsplätze in Europa zu sichern."

"Schließlich muss das Europäische Emissionshandelssystem noch einmal modernisiert werden, damit es den aktuellen Herausforderungen genügt. Die kostenlose Vergabe von Emissionszertifikaten muss verringert werden. Erst am Dienstag hat der Europäische Rechnungshof deutlich gemacht, dass eine kostenlose Vergabe von 40 Prozent der Emissionszertifikate ineffizient ist. Treibhausgasintensive Sektoren gilt es konsequent einzubeziehen. Gerade der Flugverkehr muss endlich angemessen bepreist werden. Gleiches gilt für den Schiffsverkehr, der seine Emissionen bisher noch gar nicht bezahlen muss."